Wie fühlt sich agiles Arbeiten an? Kann man damit tatsächlich auch große Gruppen oder komplizierte Projekte steuern? Zwei der Fragestellungen, denen man sich mit #GoodFoodGoodWork nähern kann – Inga Höltmann hat es in Berlin ausprobiert.

Ende Februar fand die erste „Digital Mindshift Masterclass“ statt, die ich mit Sabine und Alexander Kluge und Dan Pearlman in Berlin veranstaltete. Am Abend des ersten Tages luden wir die TeilnehmerInnen nicht etwa in ein Restaurant, sondern zu dem von mir entwickelten Format #GoodFoodGoodWork ein.

Was ist #GoodFoodGoodWork?

#GoodFoodGoodWork ist ein Format, das ich im vergangenen Jahr konzipiert habe. Die Idee dahinter ist, Prinzipien des agilen Arbeitens erlebbar und erfahrbar zu machen anhand eines gemeinschaftlichen Kochprozesses. Eine Gruppe bereitet ihre eigene Mahlzeit zu und organisiert sich dabei selbst – es gibt nur sehr kursorische Rezepte und keinen Profi-Koch, der anleitet. Ich habe für das Format vor allem Anleihen aus Scrum und Kanban getätigt. Und die Herausforderungen an jenem Abend waren: Einerseits verdammt viel Essen zuzubereiten – wir waren 30 Leute, die sich miteinander koordinieren mussten und die hinterher satt werden wollten. Und andererseits damit umgehen, dass man sich noch nicht besonders gut kannte. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten sich ja erst an diesem Tag kennengelernt und sie hatten auch noch nie miteinander gearbeitet.

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Nach etwa zwei Stunden gemeinsamen Zubereitens stand endlich das gesamte Essen auf dem Tisch. Was ich an jenem Abend gelernt habe:

1. Ein bisschen Chaos ist okay

Agiles Arbeiten ist Loslassen und auf die Intelligenz und das Wohlwollen der anderen vertrauen. Agiles Arbeiten heißt, auf den Prozess zu vertrauen und sich hindurch tragen zu lassen – sich an bestimmte Regeln und Übereinkünfte zu halten und andere, die sich als nicht sinnvoll erweisen, über Bord zu werfen. Das kann auf den ersten Blick manchmal etwas unkoordiniert wirken, manchmal funktioniert es in den Details auch nicht so richtig – aber im Großen und Ganzen funktioniert es, weil alle Beteiligten sich verantwortungsvoll verhalten und sie im besten Fall Zugang zu den relevanten Informationen haben, weil die anderen offen sind und mit diesen Informationen transparent umgehen und sie gern teilen.

So war es auch an jenem Abend. 30 Leute in einer großen Küche, ausgestattet mit einer Menge Lebensmittel, die an vier Gängen einer gemeinsamen Mahlzeit werkelten: Manchmal war das ein bisschen chaotisch, aber das Chaos nahm nicht überhand. Es war toll anzuschauen, wie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeinsam ihr Ziel in den Blick nahmen und zusammen darauf hinarbeiteten. Sie entwickelten eine gemeinsame innere Logik ihrer Zusammenarbeit, ausgerichtet an einem geteilten Purpose.

Interessant war auch zu sehen, wie unterschiedlich sich die Grüppchen schlugen. Tatsächlich war es so, dass sie umso reibungsloser arbeiteten, je transparenter sie mit Informationen umgingen und je mehr Aufwand sie in das Festhalten und die Distribution dieser Information steckten. Es klingt banal, ist aber in der Umsetzung sehr schwierig: Die in Dokumentation verwendete Zeit ist gut investierte Zeit, weil sie an anderer Stelle signifikant Arbeit spart und Friktionen verhindern hilft. Das war auch beim Kochen gut zu beobachten.

2. Egal, wie reflektiert wir sind – wir fallen leicht in gewohnte Arbeitsmuster zurück

Das Buffet füllt sich (Foto: Alexander Kluge)

Das Buffet füllt sich (Foto: Alexander Kluge)

Den ganzen Tag hatten wir über Kulturwandel und Neue Arbeit sinniert und miteinander über andere Formen von Unternehmensführung und Zusammenarbeit diskutiert – und als ich die Lebensmittel präsentierte und unseren gemeinsamen Versuchsaufbau, waren die Teilnehmer erschöpft von einem langen Tag – und hungrig. Sehr hungrig. Das führte dazu, dass sie mir die Anleitungen und Zutatenlisten aus der Hand rissen und sich relativ schnell in Grüppchen zusammenfanden.

Auf ihre Arbeitsorganisation verwandten sie weniger Zeit als ich erwartet hatte. Das führte dazu, dass die Kommunikation und Zusammenarbeit in den Gruppen mehr oder weniger gut funktionierte, je nachdem, wie groß die Gruppen waren. Innerhalb der Gruppen konnten die Teilnehmer diesen Mangel an Planung noch gut ausgleichen, weil sie nah beieinander arbeiteten und die Rollen kannten und wussten, wen sie im Zweifelsfall fragen konnten. Doch es führte dazu, dass sich vor allem die Kommunikation zwischen den Gruppen maßgeblich erschwerte oder einfach nicht stattfand. Und so kam es zum Beispiel, dass von bestimmten Nahrungsmitteln viel zu viel zubereitet wurde, weil die Gruppen zu wenig über die Arbeit der anderen Gruppen wussten.

Was kann man daraus ableiten? Zeitdruck, Innovationsdruck oder Unsicherheit führen dazu, dass wir allzu schnell in gewohnte Handlungs- und Organisationsmuster zurückfallen – egal, wie sensibilisiert oder vermeintlich reif wir sind. Das zeigt, wie wichtig konstante Evaluation und Betrachtung der eigenen Arbeit im Kontext von New Work ist.

3. Es kommt nicht nur auf das Endprodukt an, sondern es zählt auch der Weg dorthin

Als wir am nächsten Tag den Kochabend auswerteten, sagte einer der Teilnehmer, als ihm bewusst wurde, an welchen Stellen es geknirscht hatte: „Ist doch egal, am Ende hat es doch geschmeckt!“ Das stimmt zwar, das Essen war wirklich gut – doch das Beispiel zeigt auch, dass das eben nicht so ganz stimmt. Der Weg zum Ziel ist bei neuem Arbeiten ebenso wichtig wie das Ziel selbst.

Weil die Grüppchen unterschiedlich fertig waren und unklar war, was noch erledigt werden musste, begannen einige Teilnehmer bereits zu essen, während andere noch die letzten Handgriffe erledigten. Ich bin mir sicher, dass sie bei klarerer Organisation und besserem Wissen, was noch zu tun ist, mit angepackt hätten, so dass man schließlich zusammen hätte essen können. Doch so hingen Zeitplan und Teilnehmer in der Luft und einige eröffneten bereits die Tafel.

Und der Weg zum Ziel ist auch wichtig im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Zusammenarbeit oder mit Blick auf kommende Projekte. Im Unternehmen sind gemeinsame Projekte ja keine singulären Vorkommnisse wie in unserer Simulation. Zusammenarbeit in Unternehmen findet immer in einem Geflecht aus Erfahrungen und Learnings der Vergangenheit, aktuellen Erfahrungen in der Zusammenarbeit und Hoffnungen und Wünschen für die Zukunft statt. Die momentane Gestaltung von Zusammenarbeit hat deshalb immer Auswirkungen nicht allein auf das konkrete Projekt, sondern auf die Gesamtheit, die sich Organisation nennt. Deshalb ist das Wie sehr wichtig und auch, was man aus der Zusammenarbeit lernt und was man davon in die nächste Zusammenarbeit mitnimmt.

Ich bin mir sicher: Wenn wir das nächste Mal in dieser Konstellation kochen würden, würde der Ablauf ganz anders aussehen. Wir würden uns in der nächsten gemeinsamen Iteration befinden und genau artikulieren können, was wir miteinander gelernt haben. Und das ist ganz wesentlich für agiles Arbeiten: Durch den Prozess miteinander zu lernen und zu reifen.