Als Studentin dachte unsere Gastautorin Nadine Nobile noch, dass sich das mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau schon in den kommenden Jahren auswächst. Doch dann stieß sie auf ein sich selbst reproduzierendes System aus Ungleichheit – und beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals so ein „Frauen-Dings-Bums“ anzetteln würde. Bis Anfang 2017 hätte ich ebenfalls nicht gedacht, dass es überhaupt noch eine Notwendigkeit für Frauen-Netzwerke oder gar die Frauenquote gibt. Doch bereits ein halbes Jahr später sah meine Wirklichkeit anders aus. Und dabei hätte ich es schon vor 20 Jahren erahnen können, dass es einen grundlegenden Wandel braucht. Zumindest, wenn ich im zarten Alter von 20 die Anzeichen in meinem damaligen Umfeld anders gedeutet und zu Ende gedacht hätte.

Zu frech, zu selbstbewusst, zu laut

1996 machte ich in einer schwäbischen Kleinstadt mein Abi. Die ländliche Gegend war für mich bereits in frühen Jugendtagen ein Sinnbild für Kleinbürgerlichkeit und Enge. Die Schönheit der Landschaft wurde überlagert von der Begrenztheit des geistigen Bezugsraums seiner Menschen. Denn sie ließ kaum Raum für die Anders- und Einzigartigkeit derjenigen, die sich nicht in gängige Raster einfügen wollten. Und so passte wohl auch ich nicht in die typischen Kategorien für junge Frauen. Zu frech, zu selbstbewusst, zu neugierig, zu forsch, zu laut. Da überraschte es mich nicht wirklich, dass mir der zweifelhafte Ruhm zu Teil wurde, von meinem Abi-Jahrgang zur „Emanze des Jahres“ gewählt zu werden. Nicht zweifelhaft aufgrund des Begriffs an sich, sondern vielmehr aufgrund seiner Verwendung, die selten wertschätzend und zumeist abgrenzend und herabwürdigend erfolgt.

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Als neugieriger Mensch wollte ich jedoch verstehen, was meine Mitschülerinnen und Mitschüler dazu veranlasst hatte, mich zur „Emanze des Jahres“ zu wählen. Die Antwort war simpel und bestechend zu gleich. „Tja, Nadine, Du sagst eben immer Deine Meinung.“ Als ich das hörte, war ich zuerst einmal etwas irritiert. Doch dann musste ich lauthals lachen. Und ich antwortete: „Na, wessen Meinung soll ich denn sonst sagen, wenn nicht meine eigene?“ Ja, und das ist vielleicht schon der Pudelskern der Emanzipation, seine eigene Meinung – oder besser gesagt Position – finden und diesen Standpunkt selbstbewusst vertreten. Und das auch gegenüber Menschen, die in einer vermeintlichen Machtposition stehen.

Das System reproduziert sich selbst

Als ich 1996 zum Studieren an die Uni ging, war ich felsenfest davon überzeugt, dass sich das mit der „Emanzipation“ meiner Mitschülerinnen und all der anderen Frauen schon irgendwann von selbst entwickeln würde. Ich dachte, wir Frauen würden Stück für Stück unseren Teil vom Kuchen bekommen und ihn, wenn nötig, selbst nehmen. Zwanzig Jahre später stelle ich fest, dass Frauen auf dem gesamten Globus immer noch nicht gleichwertig behandelt werden. Denn die männlich-dominierten Systeme tun genau das, was soziale Systeme systemtheoretisch tun sollen: Sie reproduzieren sich immer und immer wieder.

Die AllBright-Stiftung nennt diesen Prozess in Bezug auf die Führungsstrukturen deutscher Unternehmen den „Thomas-Kreislauf“. So gibt es in den börsennotierten Unternehmen mehr Vorstände mit den Vornamen Thomas und Michael als Frauen. Ein fast schon grotesker Beleg für die Robustheit dieser männlichen Führungszirkel. Doch auch Frauen verfestigen diese Systeme. Immer wieder nehme ich in unterschiedlichsten Situationen wahr, dass Frauen lieber anderen den „Kuchen reichen“, als sich selbst ein Stück zu nehmen. Geprägt von Denkmustern, die auf die eigenen Unzulänglichkeiten ausgerichtet sind und den eigenen Potenzialen und Positionen wenig Raum lassen.

Vorbilder müssen her!

Tja, aber wie können wir diese Muster und Systeme aufbrechen? Was braucht es, damit es zu einem nachhaltigen Wandel kommt? Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es Vorbilder braucht. Vorbilder für Frauen, die zeigen wie sie die Arbeitswelt aktiv mitgestalten können und dabei ihre individuellen und einzigartigen Talente und Potentiale einbringen. Es braucht Vorbilder für Männer, die zeigen, dass es nicht nur in ihrer Mitverantwortung liegt, Frauen zu fördern, sondern dass sie ebenfalls in ihrer persönlichen Entwicklung und Lebensgestaltung von mehr Vielfalt profitieren. Und es braucht Vorbilder für Unternehmen, die aufzeigen, dass die Beiträge diverser Teams auf allen Ebenen unverzichtbar sind, nicht nur aus ethischen, sondern auch aus ökonomischen Gesichtspunkten.

Natürlich könnte man jetzt sagen: „Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan, können wir nicht einfach darauf warten, bis der Zeitgeist sich weiter wandelt? Ja, klar, könnte man! Was mich aber nicht stillstehen lässt ist die Tatsache, dass wir uns derzeit in einem massiven Umbruch der Arbeitswelt befinden. Die Digitalisierung und Technologisierung schreiten mit riesigen Schritten voran. Jetzt werden wichtige Grundlagen gelegt für die Arbeitswelt der Zukunft. Und ich bin mir sicher, dass wir die Zukunft dann am besten im Sinne der Menschen gestalten, wenn möglichst unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen zusammenwirken.

Diversität fördert Innovation

Die Relevanz von Vielfalt wird mir immer wieder dann besonders deutlich, wenn ich mir die Dimensionen der neuen Arbeitswelt vor Augen führen. Das sind auf der einen Seite die technologischen Innovationen, welche die Entwicklung neuer Produkte und Innovationen erst möglich machen. Und da ist der Mensch, der diese Technologien einsetzt. In ihrer Untersuchung „The Mix that Matters“  zeigt die Boston Consulting Group in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München: Diverse Teams sind innovativer bzw. innovative Teams sind diverser. Eigentlich naheliegend, wenn wir Kompetenzen, Erfahrungen und Potentiale als Fundus betrachten, in den wir bei der Entwicklung eines Produktes oder der Lösung eines Problems hineingreifen können. Das heißt nicht, dass immer alle Ressourcen gleichzeitig genutzt werden, aber die Vielfalt ermöglicht ein viel größeres Spektrum an Möglichkeiten und öffnet den Horizont aller Beteiligten.

Daraus folgt für mich, dass der Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen in der Fähigkeit liegt, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass Kooperation, Kollaboration und Co-Creation gelingt. Und auch wenn die Forschung sich immer noch uneinig darüber ist, was männliche von weiblichen Verhaltensweisen unterscheidet, so spricht doch einiges dafür, dass Empathie oder auch Reflexionsfähigkeit als eher weibliche Eigenschaften, genauso auf gelingende Zusammenarbeit einzahlt, wie das Vorurteil, dass Frauen „die Sache“ in den Mittelpunkt stellen, während Männer sich gerne mit einer Sache schmücken.

Selbst anpacken

Ja, aber was machen Mann und Frau nun mit dieser Erkenntnis? Für mich wurde vor anderthalb Jahren klar, dass ich selbst einen Beitrag zu mehr Vielfalt leisten muss. So entstand die Idee zu „New Work Women“ – einem Netzwerk, dass die Sichtbarkeit von Frauen erhöht und ihre Ideen via Social Media in die Welt trägt. Und so haben wir 2018 ein ganzes Jahr lang mit dem Hashtag #365Impulse jeden Tag ein Zitat einer Frau zur Zukunft der Arbeit in die Welt getragen. Es ist grandios, welche wunderbaren Ideen uns dabei erreicht haben.

Und uns hat es gezeigt, wie viele Frauen sich aktiv mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen. So war auch recht schnell klar, dass wir auch 2019 mit weiteren Aktionen auf das spannende Engagement von Frauen aufmerksam machen werden. Und so ist vor zwei Wochen unsere zweite Aktion #MyMission19 an den Start gegangen. In diesem Jahr wollen wir aufzeigen, mit welchen Projekten, Vorhaben und Ideen Frauen die Arbeitswelt bereichern und was sie dabei antreibt. Hierfür suchen wir übrigens noch spannende Geschichten von Frauen, die mit Herzblut und Leidenschaft ihre persönliche Mission verfolgen.

Es wird auf jeden Fall ein inspirierendes Jahr mit vielen bewegenden und berührenden Einblicken. So viel zeigen die ersten Geschichten, die uns bereits erreicht haben. Allein dafür lohnt es sich, sich für mehr Vielfalt einzusetzen. Denn so lernt man jeden Tag dazu

Nadine Nobile (Quelle Nils Hasenau)

Nadine Nobile ist Gründerin von CO:X. Sie begleitet Menschen in Organisationen dabei, neue und vor allem eigene Wege zu finden um ihre Zukunft in einem dynamischen Umfeld aktiv mitzugestalten. Ihr Leitsatz dabei lautet: „Potenziale erkennen und Entfaltung ermöglichen“. Mitte 2017 initiierte Nadine das Netzwerk New Work Women. Ziel dieser Initiative ist es die Gedanken und Ideen von Frauen zur Zukunft der Arbeit in die Welt zu tragen.