Riaan Stipp war selbst auf der Suche nach einer Teilzeitstelle – doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht. Kurzerhand gründete er deshalb seine eigene Jobplattform, die ausschließlich Teilzeitjobs anbietet.

Für Unternehmen klingt es zu schön, um wahr zu sein: Es gibt ein Mittel, das bei den eigenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Produktivität erhöht, die Krankheitstage senkt, die Jobzufriedenheit verbessert, die Bindung ans Unternehmen steigert und sich selbst als Arbeitgeber von vielen anderen abhebt! Der Name dieses Zaubertranks: Teilzeit.

Interessanterweise verdrehen aber viele Vorgesetzte die Augen, wenn Menschen sich Teilzeit wünschen – vor allem wenn es sich um Koordinations- oder Führungspositionen handelt. Das mache man eben nicht, heißt es oft nur zur Begründung. Woher ich das weiß? Von meiner eigenen Jobsuche. Als erfahrener Produktmanager – der ich bin – ist man im wachsenden IT-Sektor gefragt. Angebote gab’s, aber nicht in Teilzeit.

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Aus dem Willen, dies zu verändern, habe ich dann Happierjobs.org gegründet, eine Jobplattform exklusiv für Karriere in Teilzeit. Oberflächlich betrachtet ist es eine Jobplattform, aber eigentlich ist es eine Initiative. Meine Mission: Menschen und Unternehmen die vielen Vorzüge von Teilzeit aufzuzeigen.

Weniger Arbeitszeit heißt nicht weniger Leistung

Denn es gibt wichtige Unterschiede zwischen Teilzeit- und Vollzeit-Angestellten. Das zeigen wissenschaftlichen Studien genauso wie auch praktische Beispiele. Wie dieses: Ein Krankenhaus in Göteborg machte Verluste. Der hohe Krankenstand und der kontinuierliche Mitarbeiterschwund führten zu leerstehenden Operationssälen. Doch statt Sparmaßnahmen zu ergreifen, entschied sich die Krankenhausleitung für einen unkonventionellen Weg. Sie führte für die gesamte Belegschaft den Sechs-Stunden-Tag ein – bei gleichem Lohn. Keine günstige Maßnahme: Es folgten jährliche Zusatzkosten von einer Million Euro. Aber es lohnte sich, die Krankheitstage und der Mitarbeiterschwund sanken dramatisch. Nun wird kontinuierlich operiert, die Profitabilität ist wiederhergestellt, und – als netter Nebeneffekt – erfreuen sich die Angestellten über die zusätzlichen zwei Stunden Freizeit pro Tag.

Natürlich ist der laufende Betrieb eines Operationssaals ein spezieller Fall. Aber auch klassische Büros können von Teilzeit profitieren, da eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht unbedingt eine Reduzierung des Outputs bedeutet. Ein neuseeländisches Unternehmen reduzierte seine Arbeitswoche auf vier Tage bei gleichbleibendem Gehalt. Trotzdem blieb die Arbeitsleistung konstant und zeitgleich verbesserte sich das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.

Es geht jedoch noch radikaler. Unter großer medialer Aufmerksamkeit führte der Unternehmer Lasse Rheingans den Fünf-Stunden-Tag bei seiner Agentur Digital Enabler ein. Trotz des harten Agenturgeschäfts mit fordernden Kunden, hohem Arbeitsdruck und bisher vielen Überstunden hat der Wechsel funktioniert. Wichtigste Voraussetzung in solch einem Fall ist, dass alle Angestellten zu einer produktiveren Arbeitsweise beitragen.

Starker Wunsch nach Teilzeit bei den Arbeitenden

Es möchte doch niemand in Teilzeit arbeiten, erwidern mir häufig Unternehmen. Diese Traditionalisten verweise ich auf die Umfrage des Marktforschungsinstitut Toluna. Von 1004 Deutschen gaben 55 Prozent der Befragten an, gern nur vier Tage die Woche arbeiten zu wollen, auch wenn damit ein geringeres Gehalt einherginge. Tendenz steigend: Das sind nochmal sechs Prozentpunkte mehr als im Vergleich zum Vorjahr 2018, da waren es noch 49 Prozent gewesen. Und dies gilt im Übrigen auch für Berufsgruppen mit hohem Karrierebewusstsein. Zwei Drittel der jüngeren Manager und Managerinnen unter 35 Jahren wünschen sich eine Wochenarbeitszeit unter 40 Stunden.

Diesen Wunsch nach Teilzeit von Arbeitnehmern und Abeitenehmerinnen bekomme ich durch die positive Resonanz auf happierjobs.org deutlich zu spüren. Bei ihnen ist wenig Überzeugungsarbeit zu leisten. Es sind die Unternehmen, die sich leider oft noch zurückhaltend verhalten. Aber Schritt für Schritt probieren immer mehr Unternehmen neue Arbeitszeitmodelle. Immer mehr erkennen die Vorzüge für ihre Mitarbeitenden und für sich als Unternehmen. Der Wechsel kommt! Nicht von heute auf morgen. Aber nach 100 Jahren 40-Stunden-Woche sind die Tage gezählt, da bin ich mir sicher.

Riaan Stipp (Bild: Promo)

Riaan Stipp (Bild: Promo)

Riaan Stipp, Jahrgang 1987, arbeitet freiberuflich als Produktmanager in Berlin. Er ist spezialisiert auf die Entwicklung neuer digitaler Produkte in schnellen, agilen Innovationsprozessen. In seiner Freizeit gründete er im Jahr 2018 happierjobs.org.