„Mit Agilität ‚pandemie-fest‘ werden!“, fordert Britta Redmann, „agile“ Anwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht. Doch wie kann Agilität in Unternehmen, in der Personalarbeit oder im gemeinsamen Lernen aussehen? Sie hat da einige Ideen. 

Ganz so pauschal lässt sich das vielleicht nicht sagen, aber es zeigt sich in den letzten Wochen und Monaten doch: je flexibler und beweglicher Unternehmen bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie aufgestellt waren, desto besser agieren sie aktuell in der Krise. Das ist natürlich branchenspezifisch unterschiedlich – ein „agiles Café“ in meinem Umfeld musste trotzdem schließen – aber ein bisschen Grundsätzliches ist da schon dran. Alte Methoden, starre Muster und fixe Hierarchien haben uns nicht geholfen in der jüngsten Vergangenheit. Die Corona-Zeit hat dem Ganzen ein Brennglas aufgesetzt.

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Was überhaupt bedeutet Agilität?

Aber was steckt hinter diesem – auch oftmals überstrapazierten – Buzzword „Agilität“? Wie und wo kommen wir damit operativ weiter?

Gablers Wirtschaftslexikon sagt dazu: „Agilität ist die Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen bzw. in Strukturen und Prozessen. Man reagiert flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen. Man ist, etwa in Bezug auf Veränderungen, nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv.“

Auch wenn wir einer solchen Krise gegenüber kaum proaktiv unterwegs sein konnten – es sind immer einzelne Bausteine, die uns doch schon besser darauf vorbereitet haben.

Lernziel: Mit Veränderung umgehen lernen

Zum Beispiel: Agile Vergütung. Viele herkömmliche Performance-Instrumente sind meist auf feste Regeln fixiert und sehr starr in ihrer Anwendung. Sie sind eher auf langfristige Planung und Zyklen ausgerichtet. Im Mittelpunkt steht meist der einzelne Mitarbeitende und nicht die Gruppe. Er ist Empfänger für Ziele und Gegenstand von Beurteilungen.

In modernen – agilen – Systemen ist nicht das Zielergebnis des Einzelnen entscheidend für die Auszahlung, sondern das Erreichen der gemeinsamen Team- bzw. Unternehmensziele. Kollaborative Zusammenarbeit soll sich dabei in Entlohnungsgrundsätzen widerspiegeln, so zum Beispiel auch die Erfahrung bei Bosch, Infineon und der Deutschen Bahn. Dabei stehen nicht nur der – gemeinsame – Bonus im Vordergrund, sondern die Zusammenarbeit und das ehrliche Gespräch über das Erreichte und die weiteren Verbesserungspotenziale.

Agile Unternehmen verwenden ein Performance Management, das als (Lern-)ziel hat, den Umgang mit Veränderung zu leben, mit hoher Komplexität umzugehen und ein unternehmerisches Denken bei allen zu stärken. Das Miteinander, das „Wie etwas getan“ wird, ist eine wichtige Kraft.

Bloß keine Kündigungen für agile „Könner“!

Ein weiteres Beispiel: Agilität in der HR-Arbeit. In zahlreichen Firmen wird in der nächsten Zeit nicht nur über Aufhebungsverträge nachgedacht werden, sondern es werden auch Interessenausgleiche und Sozialpläne und damit einhergehend betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden müssen. Die verbleibenden Organisationen werden relevant verkleinert sein, sie werden verstärkt darauf abstellen müssen, dass ihre verbleibenden Belegschaften agiler als bisher werden arbeiten können. Denn die verbleibenden Belegschaften werden nicht nur die aktuelle Situation meistern müssen, sie müssen gleichzeitig auch die Zukunft der jeweiligen Firmen erarbeiten. Denn in vielen Firmen wird aufgrund veränderter Anforderungen von bisherigen Kunden als auch neuen Kunden, über bestehende Produkte und die Positionierung der Unternehmen im Markt neu nachgedacht werden müssen.

Es ist also sehr wesentlich, dass auch im Rahmen von vorzunehmenden Massenentlassungen verstärkt darauf geachtet werden muss, dass Mitarbeitende mit agilen Fähigkeitsprofilen von Kündigungen nicht betroffen werden. Gleichzeitig muss den Belegschaften das Wissen vermittelt werden, welche modernen agilen Arbeitsformen zukünftig im Unternehmen umgesetzt werden müssen, damit das Unternehmen im jeweiligen Markt eine gute und sichere Zukunft hat.

Dies alles ist durchaus mit dem Kündigungsschutzgesetz vereinbar. So besagt § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz, dass aus einem berechtigten betrieblichen Interesse Mitarbeitende aus der Sozialauswahl ausgenommen werden können. Dies betrifft insbesondere solche Arbeitnehmer/innen, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes (siehe BAG 26.3.2015, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 25) erforderlich ist.

Offene Raumkonzepte ermöglichen Begegnungen – auch während einer Pandemie

Zum Beispiel: Agilität im Arbeitsschutz. Unternehmen, die agil und im Kontext von New Work arbeiten, entwickeln oft auch eine neue Gestaltung von Arbeitsräumen und Arbeitsplätzen, um damit neue Arbeitsformen besonders zu unterstützen. Büroarbeitsplätze werden zu „Erlebniswelten“. Insbesondere bei Wissensarbeiter/innen haben viele Unternehmen im Rahmen von New Work vor Corona einiges dafür getan, damit Arbeitsräume nicht mehr nur als ein Ort der reinen „Leistungserbringung“ sondern auch des Wohlfühlens und der Beziehungsgestaltung gesehen werden.

Die Grenzen zwischen privaten und beruflichen Kontakten vermischen sich dadurch vermehrt. Bei allen stehen die Förderung einer vernetzten, flexiblen Zusammenarbeit, der soziale Kontakt und die Interaktion miteinander im Vordergrund. Nicht zuletzt ist der Arbeitsplatz der Zukunft auch ein wichtiges Mittel im Kampf um alte und junge Talente. Das gilt für große wie kleine Unternehmen. Und das gilt genauso in Coronazeiten.

Bei offenen Raumkonzepten bekommen alle mehr voneinander mit und das ist unabhängig davon, ob Mitarbeitende in geringerer Besetzung anwesend sind als vor Corona. Durch das gemeinsame Sehen und Erleben in einem Raum können Beziehungen der Beschäftigten – auch bei Abstandswahrung – einfacher miteinander gefördert und unterstützt werden. Und wie wichtig der persönliche Kontakt für das persönliche Wohlbefinden und damit auch die psychische Gesundheit sein kann, haben die Erfahrungen im Lockdown gezeigt.

Und wenn ältere Schüler/innen die jüngeren unterrichten?

Zum Beispiel: Agilität in der Schule. Wie wäre es denn, Schule mal agil zu denken? Mal neue Wege auszuprobieren, um in dieser uns jetzt alle betreffenden unsicheren (Corona-)Situation neue Chancen zu entdecken und aus unseren Erfahrungen zu lernen und das System dadurch zu optimieren?

Wie wäre es denn beispielsweise, wenn Schüler selbst unterrichten? Höhere Klassen könnten unteren Klassen Lehrstoff vermitteln, wenn nicht genug Lehrer da sein sollten. Dabei würden sie selbst mitlernen und bestimmt viele Erfahrungen sammeln, wie denn sinnvoll Stoff vermittelt werden kann. Besonders auch digital. Denn Schüler tun sich in der Anwendung digitaler Mittel und in ihrem digitalen Verständnis wesentlich leichter als die meisten Lehrer. Das heißt, es könnte nicht nur Stoff vermittelt werden, sondern auch neue Methoden „erfunden werden“, da ganz nah „am Kunden“, sprich Schülern, und ihren Bedürfnissen unterrichtet bzw. Inhalte vermittelt werden würde. Agile Orientierung an Schülern – das wäre doch mal was.

Vielleicht würde das Lernen auch positiv beeinflusst, weil eine Wissensvermittlung eher auf „Augenhöhe“ stattfinden würde, als dies bei Lehrern der Fall sein kann. Ältere Schüler bekommen durch die Rolle des Wissensvermittlers eine ganz andere Verantwortung übertragen und sind auf einmal Beteiligte am System Schule: sie dürfen und können das System mitgestalten. Das könnte vielleicht frischen Wind in unser Schulsystem bringen, dass trotz einer immer digitaler werdenden Welt noch auf eher tradiertem Unterrichtskonzepten beruht. Und manche der älteren Schüler wollen dann vielleicht sogar Lehrer werden.

Mit Agilität „pandemie-fest“ werden

Die jetzt überall erwähnte große agile Gestaltungsfreiheit verlangt von allen betrieblichen Akteuren also einen Mix besonderer Emotionen und Eigenschaften: Mut, Pioniergeist und mehr Kreativität zum Ausprobieren von praktischen Lösungen. Hier sind alle gefragt. Mitarbeitende, Personaler, Betriebsräte, Führungskräfte, Firmeninhaber… Eine/r allein kann hier wenig bewegen: Eine agile Transformation lebt und vollendet sich durch „das Gemeinsame“.

Das wird dem einen leichter und dem anderen schwerer fallen: wir sind alle Menschen und dem einen fallen Veränderungen oder Ideen für neue Herangehensweisen als auch die Gelassenheit, etwas auszuprobieren leichter als einem anderen. Dieser Umgang mit Veränderung hat auch meines Erachtens nichts mit der „bisherigen Rolle eines Menschen im Unternehmen“ zu tun sondern eher mit der Persönlichkeit.

Zu guter Letzt würde mit solch unterschiedlichen agilen Lösungsansätzen auch das Thema Agilität ganz von selbst in unsere Gesellschaft getragen und macht es dann auch in Zukunft in unserer Wirtschaft leichter, mehr davon in Unternehmen und Institutionen zu leben. Pandemiefest halt.

Britta Redmann (Bild: Promo)

Britta Redmann (Bild: Promo)

Britta Redmann ist als „agile“ Anwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht und als Mediatorin und Coach selbständig tätig. Beim Softwarehersteller VEDA verantwortet sie das Corporate Development und den HR-Bereich. Sie ist Autorin verschiedener Fachbücher. Ihre besondere Expertise liegt auf der Entwicklung von Organisationen bis hin zu agilen und vernetzten Formen der Zusammenarbeit. Moderne Konzepte, wie z.B. zu Agilität, NewWork und Digitalisierung, werden von ihr arbeitsrechtlich transformiert und organisatorisch implementiert. Der rechtliche Rahmen wird von ihr immer auch unter Einbezug der Kultur eines Unternehmens betrachtet. Mehr Informationen über Britta gibt es hier.

 

 

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