Selbständige sind ja ein wenig die Stiefkinder jeder Arbeitsmarktpolitik. Die neue Regierung in Deutschland will das ändern – so versprechen SPD, FDP und die Grünen jedenfalls. Was hat von diesen Versprechungen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden? Was haben sie vor? Das hat sich Alice Greschkow für uns angeschaut – mit etwas ernüchterndem Fazit.

Selbständige gehören zu den großen Verlierer/innen der Corona-Pandemie. So heterogen die Gruppe auch ist, so ähnlich haben Kontaktbeschränkungen und wirtschaftliche Ungewissheit Kulturschaffende, Gastronom/innen und auch Handwerker/innen getroffen. Zwischen April 2020 und Juli 2021 sind 134.000 Selbständige in die Grundsicherung – auch bekannt als Hartz IV – gerutscht. In normalen Jahren liegt die Zahl der Selbständigen in Grundsicherung bei 22.000 für diesen Zeitraum. Trotz der Coronahilfen haben viele Selbständige den Eindruck, dass sie politisch keine hohe Priorität haben. Ändert sich dies nun mit der Ampel?

Leichterer Zugang zur sozialen Absicherung und mehr Hilfen

Die neue Regierung bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP möchte sich als Fortschrittskoalition profilieren. In der vergangenen Woche stellten die drei sogenannten Ampel-Parteien ihren Koalitionsvertrag vor. Mit dem Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ soll der Tenor der Modernisierung angestoßen werden. Doch was heißt das konkret für Selbständige?

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Zum einen möchte die Ampel-Koalition die Bürokratie insbesondere für Selbständige abbauen, damit die sich auf ihre eigentlichen Aufgaben fokussieren können. Dafür sollen die bisherigen Prozesse auf den Prüfstand kommen und Redundanzen gestrichen werden.

Selbständige sollen zudem einen leichteren Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung erhalten. Zudem wird für neue Selbständige eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit eingeführt. Das bedeutet konkret: Selbständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht ein insolvenz- und pfändungssicheres privates Vorsorgeprodukt als Alternative finden. Eine merkliche Entlastung soll es bei der gesetzlichen Krankenversicherung geben: Hier werden Beiträge über der Minijobgrenze „strikt einkommensbezogen“ erhoben werden.

Auch verspricht die Ampel die Coronahilfen für Soloselbständige so lange wie nötig fortzuführen. Zudem soll das Statusfeststellungsverfahren für Selbständige vereinfacht werden, damit sie sich nicht in rechtlichen Graubereichen bewegen.

Mehr Sicherheit soll kommen – doch reicht das?

Die Vorschläge lesen sich so, als würde man so wenig wie möglich in das Leben von Unternehmer/innen eingreifen wollen. Die geplanten Maßnahmen, um sozial besser abgesichert zu sein, dürften vielen Selbständigen helfen, doch im Koalitionspapier lese ich darüber hinaus keine große Motivation heraus, um die Selbständigkeit an sich zu fördern.

Zwar sollen Gründerinnen und Gründer von Start-ups unterstützt werden und auch die bestehenden Programme zur Wirtschaftsförderung von Industrie- und Digitalunternehmen sollen weiterentwickelt werden. Insbesondere durch finanzielle Förderung, aber auch durch bestehende Netzwerke sollen Jungunternehmen einen guten Start in den Wettbewerb haben. Doch insbesondere für Soloselbständige findet sich verhältnismäßig wenig.

Fokus auf der Festanstellung

Der Fokus der Ampel liegt zweifelsohne auf den abhängig Beschäftigten. Möglichkeiten, Weiterbildungen in Bildungs(teil)zeit wahrzunehmen sind zum Beispiel für sie geplant. Bei dieser Bildungs(teil)zeit wird eine Regelung mit dem Betrieb vereinbart, dass Beschäftigte beruflich kürzertreten – beispielsweise in Teilzeit arbeiten – um sich weiterzubilden. Ihr Job bleibt dabei sicher. So sollen sowohl Betriebe als auch Beschäftigte von mehr Kompetenzen profitieren. Auch Regelungen zu flexiblen Arbeitsmodellen werden für abhängig Beschäftigte mit den Sozialpartnern ausgehandelt.

Dies ist schon verwunderlich. Zum einen positioniert sich die FDP stets als Partei der Unternehmer/innen, doch das Koalitionspapier liest sich jenseits der sozialpolitischen Schritte für Selbständige eher verhalten. Zum anderen wäre es an der Zeit gewesen, dass die politischen Akteure auf die Heterogenität und Masse der Selbständigen reagieren. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Selbständigen verdoppelt – darunter befinden sich viele hochqualifizierte Expert/innen.

Doch offenbar scheint die Selbständigkeit politisch weiterhin als zu risikobehaftet und ungewiss bewertet zu werden. Nur so lässt es sich erklären, dass zwar wichtige Schritte für mehr soziale Sicherheit kommen sollen, doch wenig darüber hinaus.

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.

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