„Schlechte“ Gewohnheiten verändern wir nicht einfach durch bloße Willenskraft, sagt Christina Burkhardt, die Gründerin der Shiftschool. Vielmehr müssen wir die Anatomie einer Gewohnheit verstehen und sie einbetten in eine konkrete – neue – Identität. 

Warum sind persönliche Gewohnheiten, Routinen und die individuelle Auseinandersetzung mit ihnen so wichtig?
Wenn man sich etwas näher mit Gewohnheiten und Routinen befasst, lernt man sehr schnell, dass knapp die Hälfte aller Handlungen, die wir täglich vornehmen, Gewohnheiten sind. Diese gewohnten Handlungen laufen in der Regel sicher, präzise und schnell ab. Und unser Gehirn spart durch diesen Automatismus jede Menge Energie.

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Schon alleine deshalb ist es unglaublich wichtig, sich seiner Gewohnheiten und Routinen bewusst zu werden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich finde es unglaublich spannend und wertvoll für mich zu identifizieren, warum ich diese Gewohnheiten habe, was sie mir „bringen“ oder eben auch wie sie mir „schaden“ und wie ich sie für mich im (Arbeits-)Alltag nutzen kann. Zudem geben sie mir in einer immer flexibleren, komplexeren und gefühlt instabiler werdenden Welt Stabilität und Struktur und dadurch eine Möglichkeit, besser mit Unsicherheiten umzugehen.

Welche Rolle spielen Gewohnheiten in den Organisationen und in der Arbeitswelt von heute?
Auch für Organisationen ist es in einer Welt, die sich ständig ändert, natürlich extrem wichtig, in der Lage zu sein, „gute“ Gewohnheiten zu etablieren und zu fördern und „schlechte“ Gewohnheiten zu lassen. Dazu muss sich die Organisation, genauso wie jeder einzelne Mensch, der an seinen Gewohnheiten arbeiten möchte, aber erst einmal ihrer Gewohnheiten und Verhaltensweisen bewusst werden. Denn nur wenn ich mir bewusst darüber bin, wie ich mich verhalte, kann ich auch bewusst etwas anders machen. Und das ist ja ein großes Thema in unserer Arbeitswelt von heute: Dass wir Dinge bewusst anders machen und so besser auf Unsicherheiten und Komplexität reagieren können bzw. mit ihnen umgehen können.

Wie etabliert man neue Gewohnheiten?
Um neue Gewohnheiten zu etablieren, ist es wichtig, zu verstehen, wie Gewohnheiten funktionieren und wozu sie uns dienen. Gewohnheiten lassen sich in vier Phasen einteilen, die einen endlosen Kreislauf bilden, eine sogenannte „Gewohnheitsschleife“. Diese Phasen werden sowohl bei guten als auch schlechten Gewohnheiten immer in der gleichen Reihenfolge durchlaufen, nämlich Auslösereiz, Verlangen, Reaktion und Belohnung.

Auslösereiz und Verlangen stellen dabei die „Problemphase“ dar, Reaktion und Belohnung die „Lösungsphase“. Möchte ich nun eine neue Gewohnheit etablieren, muss ich dafür sorgen, dass diese offensichtlich ist, attraktiv, einfach und befriedigend. Ganz wichtig finde ich beim Thema Gewohnheiten auch, zu verstehen, dass es hierbei viel weniger um „Willenskraft“ geht, als wirklich um das Einüben eines Verhaltens, indem man sich die vier oben benannten Phasen bewusst macht und zu Hilfe nimmt.

Auch das Umfeld bzw. die Umwelt spielen bei Gewohnheiten eine sehr wichtige Rolle. Wenn ich mir ein Umfeld schaffe oder Menschen suche, für die meine neue Gewohnheit bzw. mein angestrebtes Verhalten normal ist und mich dabei unterstützen, hilft das sehr beim Etablieren neuer Gewohnheiten. Um sich ausführlicher mit dem Thema Gewohnheiten und wie man sie etabliert auseinanderzusetzen, empfehle ich das Buch „Atomic Habits“ von James Clear, in dem ausführlich und mit vielen konkreten Beispielen auf diese vier Phasen eingegangen wird.

Wie können wir von „schlechten“ Gewohnheiten lassen?
Indem wir zunächst einmal verstehen, warum wir diese „schlechten“ Gewohnheiten überhaupt haben und welchen Zweck sie für uns denn eigentlich wirklich erfüllen, also wozu sie mir eigentlich dienen. In einem nächsten Schritt kann ich mir dann überlegen, wie ich die oben beschriebenen vier Schritte für gute Gewohnheiten umkehren kann.

Um von einer schlechten Gewohnheit zu lassen, muss ich sie also für mich möglichst unsichtbar, unattraktiv, schwierig und unbefriedigend machen. Mir persönlich hilft dabei auch immer die Frage der Identität: Ich möchte beispielsweise jeden Tag einen Beitrag für meinen Blog schreiben, lasse mich aber bei meinen Recherchen ständig von Push-Notifications und Social Media ablenken, weil ich mit dem Post gerade nicht weiterkomme, mich überfordert fühle und mir so schnelle Entspannung erhoffe.

Also frage ich mich: Wie würde sich zum Beispiel jemand verhalten, der Autor/in ist und täglich stundenlang konzentriert an seinem Buch schreibt? Würde diese Person sich auch ständig von Social Media unterbrechen lassen? Oder sitzt sie vor ihrem Rechner, hat sowohl das Handy ausgeschaltet als auch sämtliche andere Programme auf dem Computer geschlossen, und macht das Verlangen nach Ablenkung durch Social Media also unsichtbar und schwierig, um sich nicht ständig selbst zu unterbrechen?

Welche Gewohnheiten und Routinen prägen Deinen Arbeitsalltag?
Grundsätzlich helfen mir meine Gewohnheiten, mich für längere Zeit wirklich auf ein Thema zu konzentrieren und an ihm arbeiten zu können, wichtige Entscheidungen nicht im Affekt zu treffen, besser mit anderen zu kommunizieren und genügend Pausen und Abstand zu haben, um mich zu erholen und auf meine Gesundheit zu achten.

Dabei geht es nicht nur um meine Gewohnheiten und Routinen im Arbeitsalltag, sondern im gesamten Alltag. Ich stehe jeden morgen kurz vor 6 Uhr auf, mache für eine Stunde einen Morgenspaziergang und meditiere anschließend. Handy und Laptop mache ich erst nach 8 Uhr an. Das hilft mir, einen guten und ausgeruhten Start in den (Arbeits-)Tag zu haben. Meine E-Mails lese ich nur einmal am Tag und versuche, Termine, Meetings und Telefonate immer nachmittags zu erledigen, um den kompletten Vormittag ohne Unterbrechungen zur Verfügung zu haben, um konzentriert an einem Thema zu arbeiten.

Abends lasse ich mittlerweile konsequent meinen Laptop zu, habe sämtliche Social Media und auch Mail-Programme von meinem Handy gelöscht, lasse die Arbeit wirklich Arbeit sein und spiele mit meinen Kindern, gehe noch mal an die frische Luft, lese und gehe früh (spätestens um 22 Uhr) ins Bett.

Was tust Du, um gute Gewohnheiten bei Dir zu verankern?
Als erstes überlege ich mir, welches Verhalten ich ändern will bzw. welche „gute“ Gewohnheit ich etablieren will und warum. Es geht beim Thema Gewohnheiten wie bei so vielen Themen immer erst einmal darum, sich Dinge ganz bewusst zu machen. Anschließend überlege ich mir, wie ich diese neue Gewohnheit realistisch umsetzen kann und was mir alles dabei helfen kann, dies erfolgreich und vor allem langfristig zu tun.

Ein Beispiel wäre, dass ich mittlerweile jede Treppe laufe und nie den Aufzug oder die Rolltreppe nehme, weil ich irgendwann beschlossen habe, neben explizit sportlichen Aktivitäten auch meinen Alltag dazu zu nutzen, „fit“ zu bleiben. Und immer, wenn ich doch mal versucht bin, den Aufzug zu nehmen, frage ich mich: „Wie würde sich ein fitter und sportlicher Mensch verhalten? Treppe oder Aufzug?“

Das halte ich bei dem Thema Gewohnheiten und Einüben neuer guter Gewohnheiten für einen ganz entscheidenden Punkt: Dass man nicht nur ein Ziel vor Augen hat, also beispielsweise mal einen Marathon laufen, sondern sich fragt, was für eine Identität dahinter liegt. Ich will nicht nur einen Marathon laufen, sondern ich will eine Läuferin sein!

Und dann kann man sich bei ganz vielen Entscheidungen selbst fragen: „Wie würde sich ein Läufer jetzt verhalten? Würde er trotz Unlust und Regenwetter nun laufen gehen oder das Training ausfallen lassen?“ Diese Sichtweise auf Gewohnheiten hilft meiner Erfahrung nach ungemein bei der Einübung und konsequenten Umsetzung neuer Gewohnheiten.

Was ist Dein Ratschlag für Menschen, die sich verändern möchten?
Sich zuerst bewusst machen, welche Gewohnheiten man eigentlich hat. Dies kann man ganz einfach feststellen, indem man mal aufschreibt, was man eigentlich den ganzen Tag über macht und was davon sich (täglich) wiederholt, was also meine (guten, neutralen und schlechten) Gewohnheiten sind. Danach überlegen, welche schlechte Gewohnheit man ändern bzw. durch eine gute ersetzen möchte. Und zwar immer nur eine, nicht gleich mehrere auf einmal. Dann überlegen, wie man diese Gewohnheit etablieren kann. Und zwar in wirklich kleinen, in persönlich machbaren Schritten, regelmäßig und vor allem ganz konkret. Anstatt der unkonkreten Absicht, zum Beispiel ab kommender Woche „mehr Sport“ zu machen, sich ganz genau festlegen, an welchen Tagen zu welcher Uhrzeit man wie viele Kilometer spazieren gehen oder joggen wird und mit wem man das vielleicht gemeinsam durchführen kann.

Und was ist Dein Ratschlag für Organisationen?
Mein Ratschlag unterscheidet sich für einzelne Menschen und Organisationen eigentlich nicht viel. Auch hier würde ich sagen, es geht zunächst einmal darum, sich bewusst zu machen, welche Gewohnheiten es im Unternehmen gibt und warum. Und auch hier würde ich sagen: Fangt „klein“ an.

Allerdings meine ich damit in diesem Fall: Erst einmal mit den Menschen und Teams im Unternehmen, die sich auch wirklich damit auseinandersetzen wollen – und nicht gleich mit der ganzen Organisation. Denn die Veränderung von Gewohnheiten in einer Organisation ist natürlich um ein Vielfaches komplexer als bei Einzelpersonen. Es braucht also ein Bewusstsein in der Organisation, dass eine Änderung von Gewohnheiten und damit Verhalten viel Zeit, Geduld, die Möglichkeit, Menschen in der Organisation Erfahrungen machen zu lassen und vor allem eine Führung, die selbst wirklich bereit ist, an sich und ihren Gewohnheiten zu arbeiten, benötigt.

Christina Burkhardt (Bild: Shiftschool)

Christina Burkhardt (Bild: Shiftschool)

Christina Burkhardt ist CEO der SHIFTSCHOOL, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Tobias vor fünf Jahren gegründet hat und an der mittlerweile in fünf Jahrgängen über 100 Teilnehmer/innen das 18-monatige berufsbegleitende Weiterbildungsprogramm „Digital Transformation Manager*in“ mit Fokus auf Mindset, Skills, Network & Balance abgeschlossen haben. Als Mama von drei Kindern liegt Christina das Thema Neugestaltung der Bildung und ein Bewusstsein für Habits schon bei Kindern und Jugendlichen zu schaffen besonders am Herzen. Für ihr Engagement und außergewöhnliches Weiterbildungskonzept der SHIFTSCHOOL wurde sie auf der DLD als leidenschaftliche Brückenbauerin zwischen analogen und digitalen Welten mit dem Inspiring Fifty Award ausgezeichnet. 

 

 

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