Rasend schnell hat die Politik den Weg freigemacht dafür, dass die Geflohenen aus der Ukraine in Deutschland arbeiten dürfen. Doch dass sie auch arbeiten können – da liegt die Verantwortung bei den Unternehmen. Zwar gibt es schon erste Erfolgsgeschichten zu vermelden, doch die sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass viel Arbeit vor den Unternehmen liegt: Zum Beispiel der Abschied von der heiligen Kuh Vollzeit.

Die Wucht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sitzt vielen Menschen aktuell in den Knochen. Die Bilder von zerstörten Wohngebieten, flüchtenden Familien in gedrängten Zügen, Folter und Tod brennen sich täglich in das Bewusstsein von Menschen weltweit ein. Sie bilden nur Bruchteile der realen Erfahrungen der ukrainischen Bevölkerung ab – das ist vielen klar. Die politische und humanitäre Krise hat zu einer großen Welle der Solidarität geführt.

Privatpersonen wie Unternehmen spenden Gelder, sie bekunden öffentlich ihre Solidarität mit der Zivilbevölkerung. Und: In einer nie dagewesenen Geschwindigkeit haben die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten Möglichkeiten geschaffen, um Arbeit für Geflüchtete zu ermöglichen. Doch Unternehmen müssen mehr tun, als ihr Logo an die Farben der ukrainischen Flagge anzupassen, wenn sie Verantwortung übernehmen müssen – sie müssen gute und passende Arbeitsangebote schaffen.

Die Politik ebnet den Weg für einen schnellen Zugang zu Arbeit

Millionen von Menschen sind vor der Zerstörung auf der Flucht. Allein nach Polen sind schon jetzt 2,5 Millionen Ukrainer/innen geflohen. In Deutschland sind mittlerweile über 300.000 Personen registriert – die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Viele von ihnen wollen in ihre Heimat zurückkehren – doch wann das möglich sein wird, bleibt unklar. Um ihnen zu ermöglichen, sich rasch eine eigene Existenz und Unabhängigkeit aufzubauen, wurde rasend schnell an den politischen Stellschrauben gedreht.

Die EU hat die sogenannte „Massenzustromrichtlinie“ aktiviert, die es Menschen aus der Ukraine ermöglichen soll, bis zu drei Jahre lang in der EU einen unbürokratischen Zugang zu Arbeit zu haben. Deutschlands Arbeitsminister Hubertus Heil kündigte Hilfen an, die Menschen den Berufseinstieg hierzulande erleichtern sollen – dazu gehören beispielsweise Sprachkurse und besondere Beratungsangebote. Auch die Länder und Kommunen bemühen sich, unkomplizierte Wege zu schaffen, um Geflüchteten Erwerbsmöglichkeiten zu geben.

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Große Solidarität auch bei Unternehmen

Doch nicht nur die politischen Entscheidungsträger zeigen Hilfsbereitschaft. Stefan Kampeter, Präsident des Arbeitgeberverbands BDA, sieht auch große Solidarität bei Unternehmen und verweist auf erste erfolgreiche Arbeitsvermittlungen.

Tatsächlich gibt es mittlerweile Jobplattformen, die speziell auf Menschen aus der Ukraine abzielen. Doch nicht alle Angebote sind für die Zielgruppe geeignet oder von guten Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Der Fleischkonzern Tönnies wurde stark dafür kritisiert, an der polnisch-ukrainischen Grenze Handzettel zu verteilen, die Hilfsarbeiten in den deutschen Werken bewarben. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, befürchtet zudem, dass viele ukrainische Geflüchtete in prekären Jobs landen. Da viele ukrainische Geflüchtete den deutschen Arbeitsschutz und ihre Rechte nicht kennen, können sie leicht Opfer von Dumping-Löhnen und illegalen Arbeitsregelungen werden, bei denen beispielsweise die maximale Arbeitszeit missachtet wird.

Viele Geflohene sind weiblich und können wenig mit Vollzeit anfangen

Doch nicht nur in prekären Bereichen besteht das Risiko, Jobs anzubieten, die letztendlich nicht praktisch zugänglich sind. Angesichts der Tatsache, dass mehrheitlich Frauen mit Kindern geflohen sind, wäre es vermessen, an starren Vollzeitkonzepten festzuhalten. Zwar mögen viele Geflüchtete qualifiziert sein, doch sie haben in Deutschland oft nicht mehr als einen Koffer und müssen Kinderbetreuung, Behördengänge und Bürokratie allein stemmen. Diese Realität ist nicht kaum mit Vollzeitpositionen vereinbar.

Unternehmen, die sozialverantwortlich denken und ukrainischen Geflüchteten helfen möchten, müssen sowohl zeitlich und räumlich flexible Arbeitsmodelle anbieten als auch fair vergütete Jobs unterhalb der Vollzeitnorm anbieten. Insbesondere in Regionen, in denen die Kinderbetreuungsinfrastruktur schwach ausgeprägt ist, können Unternehmen zusätzliche Unterstützungsangebote schaffen. Dabei muss es nicht sofort ein Betriebskindergarten sein – eine lokale Vernetzungsplattform für Kinderbetreuung wäre ein erster Schritt.

Unternehmertum, das Hoffnung gibt

Und: Es ist an der Zeit, Internationalisierung jenseits der Großkonzerne und Startup-Ökosysteme zu leben. Das heißt, dass – wo möglich – Englisch als Arbeitssprache akzeptiert werden sollte, um in international geprägten Branchen wie IT oder Marketing bessere Beschäftigungschancen zu schaffen.

Unternehmertum und Arbeit müssen nicht ausschließlich nach einer „Verwertungslogik“ funktionieren – sie können der Rahmen für soziale Verantwortung, Hoffnung und Begegnung sein. Arbeitgebende, die an realistischen Jobangeboten arbeiten, schaffen echte Chancen. Das wäre eine Form der Solidarität, die jenseits der Hashtags funktioniert.

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.

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