„Die Bundesregierung zeigt sich in der Krise als Totengräber selbstständiger Arbeitsmodelle“, kritisiert die engagierte Unternehmerin Catharina Bruns. Das ist fatal, meint sie, denn: Unternehmerlust und die Lust am Problemlösen sind elementar für eine Gesellschaft – nicht nur in der Krise. 

1. Wie hat sich Deine Arbeit durch die Krise verändert?
Meine gesamte Arbeit dreht sich um Selbstständige und die Selbstständigkeit. Durch Corona ist bei Happy New Monday mehr Krisenberatung als herkömmliche „Entwicklungshilfe“ nötig. Gute Geschäftskonzepte dürfen normalerweise Zeit in Anspruch nehmen und entwickeln sich, indem man viel ausprobiert und die Potenziale des Geschäfts auch praktisch erforscht, doch durch die gegenwärtige Krise mussten viele Selbstständige sich sehr zügig und unter starken Einschränkungen neu erfinden, viele mussten schnell digitaler und sichtbarer werden und das in einer auch emotional sehr belastenden Zeit, in der niemand so recht wusste, wie der kommende Monat aussehen wird.

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Ich habe sehr viele Support-Gespräche geführt und mich auch in meiner Rolle in der Kontist Stiftung sehr stark darauf konzentriert, dass Selbstständige so gut wie möglich durch diese Krise kommen. Die Stiftungsarbeit haben wir komplett auf die Krise angepasst – wir bieten seit März eine digitale Seminar-Reihe an, arbeiten noch näher mit anderen Verbänden zusammen und ich werde nicht müde, die Bundesregierung zu mahnen, die Soforthilfen für Selbstständige und Freie passend zu gestalten. Die Corona-Krise beherrscht meine Arbeit auch inhaltlich derzeit komplett – eben weil sie Selbstständige so heftig trifft.

2. Wie hat sich das angefühlt?
Da ich ohnehin viel remote oder von meinen eigenen Räumen aus arbeite, hat sich die organisatorische Seite meiner Arbeit nur wenig verändert. Trotzdem empfand ich die Ausschließlichkeit der Video-Calls und Online-Meetings schnell als anstrengend und der persönliche Kontakt zu sowohl Stiftungskolleg/innen, als auch Kund/innen und Kooperationspartner/innen, in meinem Fall oft guten Freunden, fehlt. Aber auch das gehört zum Unternehmertum: Sich auf veränderte Bedingungen einlassen und immer wieder etwas daraus machen können.

Nach Monaten des Krisenmodus merke ich umso stärker, wie wichtig ein Ausgleich ist, um immer wieder neu denken zu können, andere begleiten zu können und auch bei einem hohen Pensum nicht geschwächt zu werden. Ich laufe seit Jahren und kann beim Laufen neue Energie schöpfen – alle positiven Ideen und Gedanken kommen mir eigentlich beim Laufen – ich weiß nicht, ob ich in dieser fordernden und wirklich zähen Ausnahme-Zeit, die uns als Selbstständige stark auf die Probe stellt, hätte heiter bleiben können, wenn ich mir nicht die Zeit nehmen würde, offline meine Kilometer abzureißen.

3. Welchen Umgang mit Selbstständigen hättest Du Dir in der Krise gewünscht?
Ich hätte mir mehr Verständnis für den selbstständigen Lebensentwurf von der Bundesregierung gewünscht. Die Ausgestaltung der Soforthilfen sind für die spezielle Gruppe der Solos so daneben, das nur der Gang zum Jobcenter bleibt – und auch dort wird vielen nicht geholfen, weil sie entweder in einer Partnerschaft leben, die gemeinsam noch über zu viele Mittel verfügt, oder sie zu viel Vermögen besitzen (bei Selbstständigen ist das häufig die Altersvorsorge). Die Bundesregierung zeigt sich in der Krise als Totengräber selbstständiger Arbeitsmodelle und das, obwohl ohne Freie schon lange nichts mehr läuft, Selbstständige ein wichtiger Teil einer florierenden Volkswirtschaft sind und es sich bei der Selbstständigkeit auch im Hinblick auf New Work und der Wissensgesellschaft um ein unaufhaltsames Arbeitsmodell der Zukunft handelt, das endlich als solches anerkannt werden muss. Stattdessen wird es durch mangelndes Verständnis ständig abgewertet und erschwert. Ein fatales Zeichen für Selbstständigkeit in Deutschland!

4. Etwas weiter gefasst: Wie nimmst Du unseren Umgang in Deinem Feld mit der Krisensituation wahr?
Ich nehme trotz allen Schwierigkeiten eine gesteigerte und branchenübergreifende Solidarität unter Selbstständigen wahr – Unternehmer/innen sind eigenverantwortliche Macher/innen und die allermeisten krempeln die Ärmel einmal mehr hoch und lassen sich ihre Arbeit nicht vermiesen – auch wenn die Lage in einigen Branchen zunächst aussichtslos erschien. Es geht immer was! So haben sich schnell Online-Gruppen zusammengefunden, in denen man sich gegenseitig hilft und Tipps gibt, es hat von Unternehmen, die Selbstständige als Zielgruppe haben, viel Solidarität gegeben und es entstand so etwas wie ein „Wir-Gefühl“, das im Normalbetrieb nicht so deutlich spürbar ist. Gleichzeitig sind viele Selbstständige sehr frustriert über den politischen Umgang mit ihnen – man fühlt sich im Stich gelassen und schlichtweg veräppelt, wenn Hilfen so organisiert werden, dass sie nicht unbürokratisch und rechtssicher in Anspruch genommen werden können.

5. Welche Reaktion fandst Du besonders gelungen?
Ich finde immer toll, wenn Leute selbst was machen und aus sich heraus aktiv werden. Viele Macherinnen und Macher wie zum Beispiel der Musiker und Youtuber Fynn Kliemann (der auch bei unserem letzten Selbstständigentag Gast war), haben im Nu ihr Geschäft umgestellt und statt zum Beispiel Mode übergangsweise Mund-Nasen-Schutzmasken im großen Stil verfügbar gemacht. Die Krise zeigt auch einmal mehr: Selbstständigkeit wird als formale Arbeitsform zwar benachteiligt in diesem Land, ist aber als Qualität gesellschaftlich unerlässlich! Das zeigte auch die hohe Beteiligung am von der Bundesregierung ausgerufenen Hackathon #WirvsVirus – das ist die unternehmerische Kultur, die wir brauchen.

6. Was sollten wir als Unternehmen und als Arbeitende aus der Krise lernen und in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen?
Citizen Entrepreneurship ist immer Teil der Lösung – die Gesellschaft braucht überall neue Konzepte und jeder ist gefragt, unternehmerisch mitzumischen. Dazu braucht man nicht unbedingt ein Unternehmen gründen, aber unternehmerisch und kreatives Problemlösen und der Gesellschaft Angebote machen – da ist jeder gefragt. Nicht auf den Staat verlassen, sondern #selbstwasmachen!

7. Was wirst Du persönlich mitnehmen in die Nach-Corona-Zeit?
Dass das richtige Netzwerk und Kooperation von unschätzbarem Wert sind. Darum werde ich immer dafür arbeiten, Selbstständigkeit zu fördern, den Entrepreneurship-Gedanken zu vermitteln und den positiven Geist der Gestaltungslust zu verbreiten. Wir müssen die richtigen Bündnisse schmieden und uns selbst helfen können – nicht nur in der Krise.

Catharina Bruns (Bild: Julia Scherkunowa)

Catharina Bruns (Bild: Julia Scherkunowa)

Catharina Bruns ist Gründerin verschiedener Unternehmen und Inhaberin von Happy New Monday, einem Studio für Unternehmensentwicklung. Sie ist zudem Co-Gründerin und Vorsitzende der Kontist Stiftung für Citizen Entrepreneurship. In ihren Büchern „work is not a job“ und „Frei sein statt frei haben“ geht es um neues Verständnis von Arbeit, um Selbstbestimmung und Entrepreneurship. Wenn sie nicht an ihren Unternehmen arbeitet, streitet sie für eine moderne Politik und faire Bedingungen für Selbstständigkeit in der Wissensgesellschaft. All ihre Projekte haben etwas gemeinsam: Sie feiern Selbstständigkeit und laden dazu ein, selbst zu gestalten. #workisnotajob ist das Motto ihres Lebens.

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