Gewohnheiten sind Programme, die mehr oder weniger unbewusst ablaufen – doch sie sind mächtig, gestalten sie doch am Ende unsere Realität, meint der Coach Benjamin Rolff. Und deshalb kann man sie auch ganz bewusst für die Transformation einsetzen. 

Warum sind persönliche Gewohnheiten, Routinen und die individuelle Auseinandersetzung mit ihnen so wichtig?
Als Mensch bin ich ein Gewohnheitstier. Ich liebe meine Routinen und Rituale, denn sie geben mir Kraft und Klarheit im Alltag. Gerade in der aktuellen Zeit schaffen gute Routinen eine Struktur, die durch den plötzlichen Wechsel ins Home-Office weggefallen ist. So habe ich mittlerweile neue Routinen entwickelt, die mich ausgeglichen in den Tag starten lassen und leistungsfähig halten. Routinen helfen mir aber auch dabei, Beziehungen zu stärken oder konzentriert und kreativ zu arbeiten.

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Welche Rolle spielen Gewohnheiten in den Organisationen und in der Arbeitswelt von heute?
Gewohnheiten machen in Wirklichkeit einen Großteil unserer täglichen Handlungen und Entscheidungen aus. Sie laufen unbewusst, im Verborgenen ab und prägen damit nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch unser Miteinander in Unternehmen. Sie prägen die Kultur, die Art und Weise, wie gehandelt wird und wie Entscheidungen getroffen werden. Wenn wir unser Verhalten in den Unternehmen verändern wollen, dann macht es zuallererst Sinn, auf unsere Gewohnheiten zu achten: Welche Gewohnheiten unterstützen das gewünschte Verhalten und welche hindern uns bei der gewünschten Entwicklung? Gewohnheiten sind der Treiber für Veränderung und Transformation!

Hast Du den Eindruck, dass wir mittlerweile anders – vielleicht aufgeklärter? – mit unseren Gewohnheiten umgehen?
Ich persönlich glaube, dass sich auf dieser Ebene viel zu wenig getan hat. Gewohnheiten bewusst zu machen, zu hinterfragen und entsprechend neu zu gestalten, ist ein langwieriger Prozess. Es bedarf großer Ausdauer, um auf dieser Ebene der Veränderung aktiv zu werden und wirklich fundamentalen Wandel zu schaffen. Das erkenne ich bereits, wenn ich mir vornehme, von heute auf morgen mit dem Joggen anzufangen. Wie lange braucht es von der Idee bis hin zu einer neuen Gewohnheit, die voll und ganz in meiner Identität verankert ist und eigentlich keiner Selbstüberzeugung mehr bedarf? Meistens länger, als wir das gern hätten!

Wenn Unternehmen also den Anspruch haben, sich nachhaltig und tief zu wandeln, dann kommen sie an einer konsequenten Veränderung ihrer eingefahrenen Gewohnheiten nicht vorbei. Egal, ob es darum geht, wie sie ihre Meetings führen, Entscheidungen treffen oder wie sie miteinander kommunizieren und sich gegenseitig führen.

Wie etabliert man neue Gewohnheiten?
Der Gewohnheitsexperte James Clear schrieb in seinem Buch „Atomic Habits“ sinngemäß: Uns fehlt es nicht an Motivation, uns fehlt es nur an Klarheit. Entsprechend braucht es für jede neue Gewohnheit eine klare Absicht, warum wir diese beginnen wollen. Es geht darum, zu verstehen, warum es die neue Gewohnheit braucht und welchen Impact sie bringen soll. Eine Handlung aus tiefer Überzeugung ist hier entscheidend, damit die neue Gewohnheit überhaupt die Chance hat, sich nachhaltig in unserem Leben zu verankern und nicht wieder nach einer Woche verpufft. Diese innere Überzeugung hält uns auch von Gewohnheiten fern, die wir eigentlich gar nicht selber für uns gewählt haben, sondern die vielleicht nur gut gemeint an uns herangetragen wurden.

Wie können wir von „schlechten“ Gewohnheiten lassen?
Sowohl für gute als auch für schlechte Gewohnheiten gleichermaßen entscheidend ist der Auslöser unserer Gewohnheit. Egal, um welche Gewohnheit es sich handelt, es gibt immer etwas, das die Handlung auslöst. Sei es eine Uhrzeit, die uns daran erinnert Sport zu machen, oder ein Wecker, der uns dazu verleitet, direkt nach dem Aufstehen auf unser Handy zu schauen, anstatt in Ruhe mit einem Tee in den Morgen zu starten.

Wenn wir also eine schlechte Gewohnheit ablegen wollen, dann müssen wir an diesen Auslösern ansetzen. Können wir den Auslöser dieser schlechten Gewohnheit irgendwie isolieren, etwa indem wir das Handy gar nicht erst im Schlafzimmer liegen haben und somit nicht in die Versuchung kommen, direkt die Mails nach dem Aufstehen zu checken?

Gleichzeitig empfiehlt James Clear, schlechte Gewohnheiten durch eine neue gute Gewohnheit zu ersetzen. Dies steigert die Wahrscheinlichkeit, dass wir die alte Gewohnheit erfolgreich aufgeben.

Welche Rolle spielt das Thema bei Deiner Arbeit?
Gerade in den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass Gewohnheiten ein allgewärtiges Thema sind. Egal, ob es um unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit geht oder wie wir Beziehungen gestalten und im Team zusammenarbeiten: Das Bewusstsein für unsere Gewohnheiten und die Erkenntnis, dass wir mit kleinen Anpassungen oft große Veränderungen über Zeit anstoßen können, helfen hier enorm weiter.

Welche Gewohnheiten und Routinen prägen Deinen Arbeitsalltag?
Ich versuche mich selber nicht zu sehr mit einer umfangreichen Morgenroutine zu belasten. Letztlich sollte sich die eigene Routine um die Dinge drehen, die mir wirklich gut tun. Das bedeutet, dass nicht jede/r morgens Meditieren, Joggen, Tagebuch-führen und Yoga machen muss. So etwas kann schnell zur Last werden.

Für mich hat sich in den letzten zwei Jahren eine kleine Morgenroutine bewährt: Ich mache mir bewusst einen Kaffee direkt nach dem Aufstehen und verbringe die ersten 20 bis 30 Minuten des Tages auf der Matte, mit Stretching, Yoga oder ein paar funktionalen Übungen. Ich gebe meinem Körper das, was er morgens braucht, und starte damit auch mental ruhig und ausgeglichen in den Tag.

Wenn Du auf Deine eigene Reise schaust: Was hat sich hier verändert in den vergangenen Jahren?
Was ich für mich im Laufe der letzten Jahre lernen durfte, ist dass die Gewohnheiten für mich am nachhaltigsten funktionieren, die mir das meiste zurückgeben. Was gibt mir Kraft? Was lässt mich gut fühlen? Was hilft mir dabei, Klarheit zu schaffen? Zu den richtigen Gewohnheiten zu gelangen, muss kein gradliniger Prozess sein: Wir dürfen experimentieren und neue Gewohnheiten auch wieder verwerfen, wenn sie für uns nicht funktionieren oder sich nicht gut anfühlen. So hat sich beispielsweise für mich abgezeichnet, dass ich viel lieber mit leichter Bewegung in den Tag starte, als ausschließlich mit einer Meditation oder Atemübung. Ich brauche die Mobilisierung und auch ein bisschen Adrenalin, damit der Tag gut beginnt.

Was ist Dein Ratschlag für Menschen, die an ihren Gewohnheiten arbeiten wollen, die sich verändern möchten?
Mein Ratschlag wäre, nicht zu sehr auf das zu hören, was andere machen und was bei ihnen gut funktioniert. Das kann eine gute Inspiration sein, letztlich geht es aber darum, dass jede/r seinen/ihren individuellen Weg findet und ein Bewusstsein dafür schafft, welche Gewohnheiten dabei helfen können, das eigene Leben gesünder, kreativer und glücklicher zu gestalten.

Und was ist Dein Ratschlag für Organisationen, die sich auf die Suche machen, ihre eigenen Gewohnheiten zu verstehen, um sich zu verändern?
Unternehmen, die sich im Kern mit dem eigenen Verhalten und der eigenen Kultur beschäftigen wollen, sollten mit einer reinen Selbstbeobachtung beginnen und, wenn möglich, alle dabei einbeziehen. Welche Gewohnheiten, welche Rituale und welche Verhaltensweisen zeichnen uns als Unternehmen aus? Was tun wir bewusst, aber auch unbewusst und was macht das mit uns? Was hilft uns dabei, unsere Ziele zu erreichen und womit stehen wir uns vielleicht auch selber im Weg? Diese Selbstbeobachtung ist aus meiner Sicht die absolute Grundlage, um bewusste und zielgerichtete Veränderung anzustoßen.

Benjamin Rolff (Bild: Ilka Hindrichs)

Benjamin Rolff (Bild: Ilka Hindrichs)

Benjamin Rolff, Gründer & Coach der New Performance Academy (in Gründung) und Co-Createur des New Work Hub, ist seit 2020 als Coach und Berater für New Work, Purpose und New Performance unterwegs. Zuvor hat er als interner Strategieberater den Kulturwandel der Otto Group begleitet und diverse Strategieprojekte zur Zukunft der Unternehmensgruppe vorangetrieben. Benjamin begann seine berufliche Laufbahn als Digital Change Berater bei IBM Deutschland. Eine gesunde Balance zum beruflichen Alltag findet Benjamin im Triathlonsport.

 

 

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