Noch wird munter sondiert, aber die neue Regierung sollte schnell einsatzfähig sein – denn sie hat viele wichtige Themen auf dem Tisch. Drei von ihnen hat Alice Greschkow identifiziert: Rente, Altersarmut und digitale Bildung gehören dazu, und vor allem auch: Die Corona-Krise aufzuarbeiten, fordert sie.

Es fühlt sich fast befreiend an: Der Wahlkampf ist vorbei. Es ist klar, dass etwas Neues entstehen wird. Während die Parteien Sondierungsgespräche führen und die Menschen in Deutschland langsam verinnerlichen, dass sie sich von Kanzlerin Angela Merkel bald verabschieden werden, hören die Probleme im Land trotz der zaghaften Aufbruchstimmung im Land natürlich nicht einfach auf zu existieren. Für die nächste Bundesregierung – egal in welcher Konstellation – gibt es eine große Liste an dringenden Themen, wie Klimaschutz, Deutschlands Rolle in Europa und der Welt oder auch den sozialen Zusammenhalt trotz der Spaltung in der Gesellschaft.

Doch es gibt auch einige Dauerbrenner, die sich seit langer Zeit wie Kaugummi ziehen. Jeder weiß, dass sie existieren, doch keiner traut sich wirklich den großen Wurf zu machen. Wenig überraschend: Sie haben mit Arbeit und den Zukunftschancen der Bevölkerung zu tun.

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1. Rente: Es darf nicht noch mehr Altersarmut geben!

Die demografische Bombe tickt in Deutschland seit Jahren. Im kommenden Jahrzehnt wird sie explodieren. Die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge werden in Rente gehen, während eine geringere Zahl jüngerer Fachkräfte für die staatlichen Renten arbeiten muss. Rente und Altersarmut sind komplexe Themen, doch sie brodeln seit Jahren unter der Oberfläche. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesverbands der Arbeitgeber wollen zwei Drittel der Deutschen „eine tragfähige Rentenreform, die auch künftig für sichere Renten sorgt, ohne die Jüngeren finanziell zu überfordern“.

Die eine wichtige Frage lautet daher: Wie bleibt die Rente sicher und bezahlbar? Die andere lautet: Wie vermeidet man Altersarmut? Laut Statistischem Bundesamt lag die Quote der armutsgefährdeten Menschen über 65 bei fast 16 Prozent. Die Bundeszentrale für politische Bildung bewertet die Entwicklung zwischen 2006 und 2019 insgesamt als negativ, sowohl die preisbereinigte Durchschnittsrente als auch das Rentenniveau sind merklich gesunken.

Es ist offensichtlich, dass die Rente ein Problembereich ist. Es scheint gegenwärtig so, als würde die heute junge Generation keine Aussicht auf eine stabile Rente haben, sollte es keine Reformen geben. Doch bisher hat sich keine Partei getraut, einen großen Reformentwurf vorzulegen. Dies liegt auch daran, dass die Lebenswelten in Deutschland so unterschiedlich sind: Während einige argumentieren, dass aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung das Rentenalter angehoben werden kann, weisen andere richtigerweise darauf hin, dass körperlich arbeitende Menschen in ihren 60-ern erschöpft sind und nicht länger leisten können. Selbstständige finden in vielen Debatten hingegen kaum statt. Die kommende Regierung muss sich diesem Thema annehmen – sonst wachsen Misstrauen und Unmut.

2. Digitale Bildung: WLAN für alle!

Eine Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus diesem Sommer zeigt erschreckende Tendenzen: Laut der befragten Lehrkräfte gibt es nur an jeder zweiten Schule WLAN für die Schülerinnen und Schüler. An lediglich 57 Prozent der Schulen gibt es genug digitale Geräte für den Unterricht. Die Studienautoren schrieben, dass „in einem Viertel der Schulen eine [lokale] Schul-Cloud noch immer nicht verfügbar [sei] und auch eine Bildungscloud als schulübergreifendes Angebot nur in 40 Prozent der Schulen“ existiere.

Das Problem ist nicht fehlendes Geld. Der Bund hat 6,5 Milliarden Euro für die Digitalisierung an Schulen bereitgestellt – jedoch sind lediglich weniger als 1,4 Milliarden bis Ende 2020 abgerufen worden.

Mit diesem Trend gehen mehrere Probleme einher: Kindern aus einkommensschwachen Familien fehlen häufiger digitale Endgeräte im Privatgebrauch. Während sich Kinder von Mittel- und Oberschicht zu Hause den intuitiven Gebrauch digitaler Medien beibringen können, fallen arme Kinder durch das Raster.

Außerdem: Es reicht nicht, den Umgang mit digitalen Medien im Privaten zu erlernen. Schulen müssen junge Menschen auf das spätere Leben vorbereiten. Das bedeutet, dass digitale Kompetenzen wie das Erkennen von Falschmeldungen, Recherchefähigkeiten oder der Gebrauch von relevanter Software erlernt werden müssen. Genauso ist ein Grundverständnis im Umgang mit Algorithmen und eigenen Biases nötig. Ohne einen intuitiven Umgang mit der „ernsten“ Seite digitaler Medien könnte auch die Wettbewerbsfähigkeit abhandenkommen. Im internationalen PISA-Vergleich liegt Deutschland bereits jetzt ziemlich weit hinten.

3. Corona aufbereiten: Wer sind die Gewinner – und wer sind die Verlierer?

2020 wurde massiv über die Effekte der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt und die Beschäftigten spekuliert. Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, sorgte sich um eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Das Verhältnis von Vollzeitbeschäftigung und Sorgearbeit verschärfte sich für viele Frauen.

Selbstständige und Kreative litten ebenfalls massiv unter den Folgen der Schließungen. Gleichzeitig wurde das Kranken- und Pflegepersonal zunächst beklatscht und später von der Öffentlichkeit fast wieder vergessen. Arbeitsminister Hubertus Heil drängte zwar wiederholt auf Tarifabschlüsse mit den Trägern, doch der große Wurf ist bisher ausgeblieben.

Gleichzeitig scheint das Leben für eine digital arbeitende Avantgarde leichter geworden zu sein: Viele Menschen arbeiteten von Dubai, Mallorca und der Toskana aus und genossen ihre „Workations“.

Die nächste Regierung muss diese Folgen der Corona-Krise aufbereiten. Denn der Parameter Arbeit droht bestehende Ungleichheiten zu potenzieren und zu mehr Polarisierung zu führen. Für das Land wäre dies ein massiver Verlust – und für die Betroffenen eine Ohrfeige.

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.

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