Einen Monat lang versuchte sich die Baugenossenschaft Langen eG an einer Vier-Tage-Woche. Leider waren die Mitarbeitenden trotz vollem Lohn nicht übermäßig begeistert, bedauert Wolf-Bodo Friers. Doch nun geht das Experiment in die nächste Runde. 

„Wir arbeiten hart an unserem ehrgeizigen Ziel, die kundenfreundlichste Baugenossenschaft der Welt zu werden. Das geht nur mit hervorragenden Mitarbeiter/innen…“ – So werben wir bei der Baugenossenschaft Langen eG um geeignete Talente. Um für Jobsuchende, aber auch für die Beschäftigten attraktiv zu bleiben, haben wir uns etwas einfallen lassen: Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 34 Wochenstunden und ein verlängertes Wochenende durch – wahlweise – einen freien Montag oder Freitag. Urlaub und Lohn sollten nicht gekürzt werden.

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Mehr Freizeit bei vollem Lohnausgleich ist ein attraktives Angebot. Auf der anderen Seite schränkt eine verbindliche Vier-Tage-Woche die Flexibilität ein. Vor allem langjährig Beschäftigte waren mit dem Status quo zufrieden und sahen keinen Grund, etwas an dem bestehenden Arbeitszeitmodell zu ändern: 38 Wochenstunden, gelegentlich freie Brückentage und bereits flexible Arbeitszeiten, mit einem hohen Maß an individueller Gestaltungsmöglichkeit.

Jedoch: Mitarbeitende mit kürzerer Beschäftigungsdauer zeigten für die ablehnende Haltung wenig Verständnis. Wir einigten uns daher auf einen befristeten Test unter wissenschaftlicher Begleitung.

Mit der „Studie zur Einführung des Arbeitszeitmodells 4-Tage-Woche“ wurde das Institut für Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Darmstadt beauftragt. Der Projektauftrag gliederte sich in vier Stufen: Erstens Tätigkeitsanalyse, zweitens Mitarbeiterbefragung und Workshop, drittens Probebetrieb und und schließlich viertens Evaluation.

Ein starker Wunsch nach Veränderung war nicht vorhanden

Aber zum Verständnis erst ein wenig zu uns. Die Baugenossenschaft Langen eG ist ein 1947 gegründetes regionales Wohnungsunternehmen in der Rechtsform einer Genossenschaft. Wir vermieten rund 1.800 eigene Wohnungen in der Region Langen, Dreieich und Egelsbach in Hessen.

Bis auf wenige Ausnahmen sind die 25 Beschäftigten häufig im Außeneinsatz tätig. Außentermine sind zeitlich nicht immer planbar, zum Beispiel wenn spontan Mängel beseitigt werden müssen oder Terminwünsche von Mietern und Handwerksfirmen zu berücksichtigen sind. Dank des bereits vorhandenen flexiblen Arbeitszeitmodells, verteilt auf fünf Tage von Montag bis Freitag, waren die im Außendienst Arbeitenden gut in der Lage, auf spontane Anforderungen zu reagieren.

Mit dem vorhandenen Arbeitszeitmodell waren daher auch 25 Prozent der Befragten „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ (75 Prozent). Wirklich unzufrieden war also niemand mit unserem Arbeitszeitmodell, das seit 2014 im Einsatz ist. Auch die vor Beginn unseres Testbetriebs durchgeführte Befragung nach COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire), einem wissenschaftlich validierten Fragebogen zur Erfassung psychischer Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit, ergab durchweg positive Ergebnisse. Im Umkehrschluss bedeutete das: Ein starker Wunsch nach Veränderung war nicht vorhanden.

Die Mitarbeitenden führten Tagebücher während des Tests

Die Interviews mit ausgewählten Beschäftigten gaben weitere Hinweise zur Einstellung zu dem neuen Modell. Zu den erwarteten Vorteilen einer Vier-Tage-Woche gehörten bessere Erholung, mehr Zeit für Hobby und Familie sowie höhere Motivation. Zu den erwarteten Nachteilen zählten für die Befragten die Befürchtung, anfallende Arbeiten nicht erledigen zu können, Mehraufwand für die Abstimmung im Team sowie eine Einschränkung der Flexibilität. Insgesamt waren die Erwartungen an eine Vier-Tage-Woche dennoch überwiegend positiv.

Im November 2019 war es dann soweit: Ein Monat lang mit reduzierter Wochenarbeitszeit von 34 Stunden und einem verlängerten Wochenende von Freitag bis Sonntag. Arbeiten am Freitag war für alle tabu, inklusive Vorstand. Während des Tests führten ausgewählte Mitarbeitende Tagebücher, um ihre Erfahrungen zu dokumentieren. Gegen Ende des Probebetriebs wurden alle Beschäftigten erneut befragt und Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit wieder nach COPSOQ gemessen.

Gegen Ende des Experiments empfanden die Beschäftigten einen zusätzlichen freien Tag zwar als angenehm und erholsam: 75 Prozent der Befragten bewerteten den Probebetrieb als „positiv“. Die alte Fünf-Tage-Woche wurde aber insgesamt als „flexibler“ und insoweit als weniger „stressig“ beschrieben.

„New Work“ ist für viele neu

Das für jeden Tag von den Interviewten eingeschätzte Stresslevel blieb über den Monat dennoch unverändert. Ein Montag wurde über die Testphase also immer gleich „stressig“ empfunden, und auch zwischen den einzelnen Wochentagen wurde kein Unterschied beschrieben.

Die vor dem Experiment von einigen Teilnehmenden befürchtete Gefahr einer „schlechten Erreichbarkeit“ während der Vier-Tage-Woche wurde nicht bestätigt. Die zusätzliche Zeit für Familie und Freizeitaktivitäten wurde durchweg als Vorteil empfunden. Auch bot das verlängerte Wochenende für die Befragten einen größeren Erholungseffekt. Dennoch: Die Einordnung der psychischen Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit nach COPSOQ vor und während des Probebetriebs hat keine signifikanten Unterschiede ergeben. Als Befürworter der Vier-Tage-Woche war ich von dem Ergebnis überrascht, vielleicht sogar ein wenig enttäuscht.

Einer der Gründe für die neutrale bis negative Einstellung zur Vier-Tage-Woche war die kurze Testphase. Eine Reduzierung der Arbeitszeit und der Wegfall eines Arbeitstages erfordert eine Anpassung des eigenen Zeitmanagements und der Arbeitsprozesse. Aber auch die persönliche Einstellung zum Umgang mit der Ressource Zeit ist ein wichtiger Faktor. New Work ist für viele der bei uns langfristig Beschäftigten neu. Gearbeitet wird traditionell nach der Methode „Lohn für Anwesenheit“.

„Unsere Branche gilt nicht ganz zu unrecht als wenig innovativ“

Plusstunden auf dem Zeitkonto werden – bewusst oder unbewusst – aufgebaut, weil eine Zeitreserve beruhigt, wie ein Guthaben auf dem Sparkonto. Der für mich interessanteste Effekt war eine deutliche Reduzierung der Überstunden innerhalb des Probemonats, von durchschnittlich fünf Stunden auf eine halbe Stunde. Da im Testmonat die Arbeitsmenge gleichgeblieben ist und die Wochenarbeitszeit um vier Stunden reduziert wurde, wäre der gegenteilige Effekt zu erwarten gewesen: Anwachsen der Überstunden. Ich vermute, in dem Probemonat wurde fokussierter gearbeitet, weil viele befürchtet hatten, die Arbeit nicht zu schaffen.

Ein weiteres notwendiges Kriterium für die erfolgreiche Einführung eines neues Arbeitsmodells ist – und das ist sicher keine bahnbrechende Erkenntnis – die individuelle Bereitschaft jeder und jedes Einzelnen zur Veränderung. Keine optimalen Bedingungen in der Wohnungswirtschaft: Wir arbeiten zwar daran, aber unsere Branche gilt nicht ganz zu unrecht als wenig innovativ. Der Lebenszyklus einer Immobilie ist ein anderer als der eines Smartphones. Das prägt auch die Menschen, die bei uns arbeiten – oder umgekehrt.

Deswegen nicht untypisch: Die Mehrheit unserer „Wohnraumkönner/innen“ – wie wir uns nennen – ist älter als 50 Jahre, viele davon sind seit der Ausbildung durchgehend bei uns im Unternehmen. Es wäre ein Vorurteil, zu behaupten, jeder Beschäftigte Ü 50 sei weniger bereit, sich auf Veränderungen einzulassen, aber Kultur und generelle Einstellung in unserer Branche begünstigen Veränderungen nicht – und auch eine positive Veränderung ist eine Veränderung.

Eine neue Betriebsvereinbarung entworfen

Schließlich sind externe Faktoren zu berücksichtigen. Passt die Arbeitszeit zum Geschäftsmodell und zu den Anforderungen der Kunden? Eine Eisdiele im Sommer zu schließen, ist vermutlich selten eine gute Idee. Vor allem unser Bauteam war von der Vorstellung, am Freitag die Baustellen nicht beaufsichtigen zu können, wenig begeistert.

Trotz des mehrheitlich verhaltenen Echos auf den Test war das Ergebnis auch nicht deutlich ablehnend. Immerhin: Eine Minderheit der überwiegend noch nicht so lange bei uns Beschäftigten war klar für die Einführung einer Vier-Tage-Woche. Ein letzter gemeinsamer „Wohnraumkönner-Workshop“ hat den Knoten durchschlagen: Die Vier-Tage-Woche ist tot. Es lebe die 4-Tage-Woche!

Trotz gleichem Gehalt fühlte sich die Mehrheit der Beschäftigten mit 35 (!) Wochenstunden wohler als mit 34 Wochenstunden, also der Wochenstundenzahl aus unserem Experiment. Ein verbindlich festgelegter freier Tag jede Woche fand ebenso keine Mehrheit. Auf dieser Grundlage haben wir eine Betriebsvereinbarung für eine 35-Stundenwoche entworfen, mit der Möglichkeit, wöchentlich einen frei wählbaren Tag als Ausgleichstag zu nehmen.

Nun also doch eine Vier-Tage-Woche. Nur anders.

Wolf-Bodo Friers ist 1965 in Hamburg geboren, aufgewachsen und hat dort Rechtswissenschaften studiert. Schwerpunkt „Medien und Kommunikation“: Expertensysteme, künstliche Intelligenz, Neue Medien. Nach dem Ersten Staatsexamen hat er die Wartezeit auf das Referendariat im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen 70 Kilometer nördlich von Berlin genutzt, um Praxiserfahrung zu sammeln. Nach dem Zweiten Staatsexamen und der Zulassung als Rechtsanwalt folgte 1996 eine Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Miet- und Baurecht wieder in Hauptstadtnähe. Danach zurück in die Heimatstadt Hamburg als Partner in die immobilienrechtlich ausgerichtete Kanzlei Krüger Rechtsanwälte. Ausbildung zum Mediator. 2003 wechselte er von der Elbe an die Spree zum Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland, zunächst als Referent, dann als Geschäftsführer des Referats Energie und Technik. Fünf Jahre später übernahm er die Geschäftsführung von Haus & Grund Frankfurt am Main e.V., mit über 10.000 Mitgliedern einem der größten Vereine der Organisation. Seit 2012 ist er Vorsitzender des Vorstands der Baugenossenschaft Langen eG. Die „Wohnraumkönner“ bieten rund 5.000 Menschen zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt ein behagliches Zuhause, bezahlbare Mieten und einen ausgezeichneten Service.

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